Yuki Nagasato war Weltmeisterin und ist jetzt die erste Fussballerin in einer japanischen Männerliga. Die 33-Jährige ist von der Ikone Megan Rapinoe inspiriert und verkündet eine Botschaft.
Grosser Rummel um die Weltmeisterin: Yuki Nagasato war Weltmeisterin, spielte in den USA (das Bild zeigt sie bei einem Spiel ihres Teams Chicago Red Stars), seit Kurzem mischt sie in ihrer Heimat den Fussball der Herren auf. (Bild: Daniel Bartel – Imago)
Die Heimat des japanischen Fussballvereins Hayabusa Eleven ist ein Kunstrasen im Südwesten von Tokio, fast ganz am Rand dieses riesigen urbanen Ballungsraums. Bäume umgeben das kleine Stadion, Gitter verhindern, dass die Bälle auf die umgebenden Strassen fliegen.
Solche Vereine gibt es Tausende. Sie übernehmen eine wichtige Rolle in der Gemeinde, aber sie spielen in den Amateurligen fernab des Glamours, den der Fussball für sich beansprucht. Jedenfalls interessieren sich für einen solchen Verein keine Massen – es sei denn, ihm gelingt eine Verpflichtung, die mehr ist als ein Transfer.
Im September hat Yuki Nagasato einen Leihvertrag unterschrieben. Nagasato ist 33 Jahre alt. Und sie ist eine Frau, die erste in einem japanischen Männerteam.
Nagasato will, dass ihre Botschaft gehört wird
Hayabusa wusste um die Tragweite dieses Wechsels. Der Verein rief eine Pressekonferenz ein, in einem schmucklosen Raum mit dunklem Tisch und greller Beleuchtung. Er wollte ein bisschen grösser sein, als er eigentlich ist. Und Nagasato weiss, wie sie diese Bühne nutzen muss.
Seit Nagasato da ist, geht nichts mehr ohne sie. Die Kanäle der sozialen Medien sind voll von Bildern mit der Offensivspielerin; Nagasato hier, Nagasato da. Sie selbst sagt: «Ich hätte nicht gedacht, dass meine Geschichte, wie ich in einem Männerteam spiele, so populär werden würde.»
Doch genau das war Nagasatos Absicht.
Sie war inspiriert von Megan Rapinoe, der amerikanischen Weltmeisterin und Olympiasiegerin, Überfigur des US-Frauenfussballs und eine Ikone der Frauenrechtsbewegung. Während der Weltmeisterschaft 2019 äusserte sich Rapinoe darüber, wie ungleich die Geschlechter noch immer behandelt werden. Und Nagasato begann darüber nachzudenken, wie sie das auch tun könnte.
Nagasato hat mit den Frauen von Turbine Potsam dreimal die Deutsche Bundesliga und einmal die Champions League gewonnen, sie war Torschützinnenkönigin und spielte beim FC Chelsea, in Wolfsburg und Frankfurt. Mit Japan wurde sie 2011 Weltmeisterin. Seit 2017 ist sie bei den Chicago Red Stars unter Vertrag. Weil die Saison in der amerikanischen Profiliga NWSL wegen Corona abgesagt worden ist, hat sich der Wechsel zu Hayabusa Eleven ergeben.
Bei Hayabusa ist ihr Bruder Genki Nagasato Captain. Der ehemalige Spieler der zweiten japanischen Liga sagt: «Seit mehr als einem Jahrzehnt sagt mir meine Schwester, dass es ihr ultimativer Traum sei, in einem Männerteam zu spielen. Als älterer Bruder wollte ich ihr helfen, diesen Traum zu verwirklichen.»
Nagasato will, dass japanische Fussballer in der Gesellschaft aktiv werden
Nagasato bleibt bei Hayabusa, bis in den USA die Saison 2021/2022 losgeht. Am Sonntag kam sie erstmals zum Einsatz, beim Heimspiel gegen Sanno FC.
Sie will die Zeit im Männerteam nutzen, um sich zu entwickeln: «Männer sind viel schneller. Das erlaubt mir, schlauer zu werden und am Ball schneller zu entscheiden. Ich kann Männer mit schnellen Entscheidungen bezwingen.»
Vor allem aber will Nagasato eine Nachricht in die Welt tragen: «Ich will, dass mehr japanische Spieler in der Gesellschaft aktiv werden. Ich möchte, dass sie ihre Stimme erheben und sie nutzen, um positive Veränderungen herbeizuführen. Menschen haben Angst, den Mund aufzumachen, weil das oft nicht akzeptiert wird.»
Nagasato will eine «Gesellschaft schaffen, in der es keine Grenzen gibt aufgrund des Geschlechts oder der Abstammung».
Noch sind die Grenzen zwischen Männern und Frauen schwarz auf weiss ersichtlich, zum Beispiel was die Saläre angeht: Megan Rapinoe zog vor Gericht, um gleiche Bezahlung von Nationalspielerinnen und Nationalspielern in den USA zu erkämpfen. Sie verlor und sagte: «Ich bin schockiert.»
Erst fünf Verbände bezahlen Frauen und Männer gleich
Immerhin haben zuletzt zwei grosse Verbände einen kleinen Schritt gemacht: Brasilien zahlt den Männern und Frauen im Nationalteam das gleiche Preisgeld und die gleichen Spesen, zuletzt hat England nachgezogen. England und Brasilien sind zusammen mit Australien, Neuseeland und Norwegen die einzigen Verbände, die Frauen und Männer gleich entschädigen.
Nagasato gelingt es vielleicht, einen kleinen Beitrag an eine solche Gleichheit in Japan zu leisten. Vor allem aber wird sie sich wohl damit begnügen müssen, eine japanische Pionierin zu sein: die erste Frau im japanischen Männerfussball.
Wenn es nach ihr geht, dann ist sie die erste von vielen.
(20minuten, 19/10/2020, Samuel Waldis)